Jan Timmermann
· 09.12.2025
Canyon erfindet mit dem DEFLECTR den Mountainbike-Helm neu und räumt direkt zur Markteinführung prestigeträchtige Lorbeeren ab: Das renommierte Prüflabor der Virginia Tech entließ den DEFLECTR mit Bestnote in die Markteinführung. Doch die Sicherheitsfeatures des neuen Kopfschutzes ist erklärungsbedürftig, denn sie baut darauf, dass sich der Helm beim Aufprall selbst demontiert. Hört sich crazy an? Ist es auch!
Bei ihrem ersten Helm für Trail- und Enduro-Biker wollten die Canyon-Entwickler gleich einen Volltreffer in Sachen Schutz landen. Dafür bedienten sie sich nicht etwa bei existierenden Konzepten, sondern erfanden den Kopfschutz umfassend neu. Wichtigstes Feature dürfte das Release Layer System (RLS) sein. Dahinter steckt eine Doppelschalen-Konstruktion mit einer zwischenliegenden Gleitschicht. Diese basiert aus einer Lage Polycarbonat-Kugeln, welche den Schalen erlauben sich zu bewegen. Logisch: Kann sich bei einem Crash eine der Oberflächen bewegen, werden gefährliche Rotationskräfte besser abgeleitet. Überschreitet die Aufprallkraft einen bestimmten Wert, kann sich eine der Schalen ablösen und erhält dadurch mehr Beweglichkeit. Genauer gesagt löst sich die verklebte Verbindung und Kräfte werden über die Kugeln umgelenkt. Dank dieser Technologie soll der Canyon DEFLECTR die Gefahr einer Gehirnerschütterung deutlich reduzieren können.
Genau, wie beim kürzlich neu vorgestellten Crosscountry- und Gravel-Helm DISPUTR CFR, schmeißt Canyon das klassische Verschluss-System via Gurt über Bord und vertraut auf den sogenannten High-Bar 1.5. Dieser soll im Vergleich zur konventionellen Textil-Lösung nicht nur die Aerodynamik und die Hygiene verbessern, sondern laut Canyon auch rund fünf Grad kühler bleiben. Ergänzt wird das Konzept durch großzügige Belüftungsöffnungen, um den Luftstrom auch unter starker körperlicher Belastung zu optimieren. Zu den weiteren Details zählen ein höhenverstellbares Visier, um mit verschiedenen Brillen kompatibel zu sein, und die Option auf ein magnetisches Rücklichtsystem für den Nachhauseweg vom Trail.
Um den neuen Canyon Helm aufzusetzen, ist der High-Bar vor der Stirn verstaut. Von dort wird er unters Kinn geklappt. Dafür muss stets die Brille abgenommen werden. Anschließend wird die Weite, wie gewohnt, über das Drehrad am Hinterkopf eingestellt und der High-Bar über ein weiteres Drehrad festgezogen. Da dieser jedoch nicht, wie ein klassischer Gurt, über Reibung am Kinn festhält und auch nicht press anliegen sollte, bleibt die Befestigung am Kopf deutlich lockerer, als gewohnt. In der Praxis besteht so die Gefahr, dass der Helm weit in die Stirn rutscht. Gerade auf rumpeligen Trails kommt der nicht gerade leichte DEFLECTR schon mal auf Tuchfühlung mit der Brille.
Um den Sitz des Helmes zu verbessern, muss die Weitenverstellung recht straff gezogen werden. Dadurch wird der DEFLECTR an ebendieser Stelle schwitzig und die Vorteile der großen Belüftungsöffnungen verpuffen schnell. Zwar drückt der Helm nicht und Schläfen, beziehungsweise Kinn, bleiben kühler, dafür sitzt aber ungewohnt eng und wird an Stirn, beziehungsweise Hinterkopf, wärmer als andere Helme. Hier bestätigt sich unser Testeindruck, den wir bereits vom Canyon DISPUTR kennen: High-Bar erfordert einen Kompromiss aus gutem Sitz und schwitzigem Kopf. Schade, denn der Canyon Helm schaut gut aus und fühlt sich ansonsten auch gut an. Einen Crash musste das RLS-System bislang nicht einstecken. Wie sicher die Kombi aus Doppelschale und Kugellager wirklich ist, müssen weitere Tests zeigen.
Die hohe Sicherheitsleistung kauft man dem Canyon DEFLECTR ab und das gibt ein gutes Gefühl. Wer eine Alternative zu MIPS und Co. sucht, sollte sich die technisch sehr spannende RLS-Lösung genauer ansehen. Das High-Bar-System konnte uns im Test zum wiederholten Male nicht überzeugen: zu klein die Vorteile, zu groß die Nachteile. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur