Florentin Vesenbeckh
· 21.05.2024
MGU steht für Motor-Gearbox-Unit - Motor-Getriebe-Einheit auf deutsch, daher bei uns kurz: die MGU. Die herausragende Kompetenz des Pinion-Antriebs liegt im integrierten Schaltgetriebe. Anstelle einer defekt- und verschleißanfälligen Kettenschaltung finden die Gangwechsel geschützt im Inneren des im Folgenden kurz die MGU genannten Antriebsblocks statt. Weniger Defekte, weniger Wartung, Schalten im Stillstand und ideale Gewichtsverteilung sind die großen Vorteile. Wie sich das Komplettsystem schlägt und welche Vor- und Nachteile es bietet, lest ihr hier in unserem ausführlichen Artikel zur Pinion MGU. Doch in diesem Testartikel soll es um den Motor der MGU gehen. Kann er leistungstechnisch mit der Konkurrenz mithalten? Und wie ist der Antriebscharakter des Aggregats?
Das Fahrgefühl ist kraftvoll dynamisch und mit der neuesten Software auch im höchsten Modus nicht unangenehm ruppig. Seine hohe Kraft versucht der Motor aber nicht zu verstecken. Das Ein- und Ausfaden geschieht recht geschmeidig und direkt, das gefällt. Im technischen Uphill gibt es Kritik für den fehlenden Nachlauf. So nennt man das leichte Nachschieben des Motors, wenn der Fahrer schon nicht mehr tritt. In technischem Anstiegen hilft das, das Bike über Stufen und größere Hindernisse noch besser hinweg zu schieben. Auch das späte Einsetzen des Motors beim Anfahren ist am Berg ein Nachteil. Dafür brilliert die Schiebehilfe. Mit dem enormen internen Drehmoment durch das im Motor integrierte Getriebe fällt sie kräftiger aus, als bei allen anderen Prüflingen. Zudem lässt sich die Geschwindigkeit beim Schieben anpassen. Einfach über den elektronischen Schalthebel. Das ist richtig hilfreich. Optional kann die Schiebehilfe bei Pinion übrigens auch zum Anfahren genutzt werden. Einfach aufsitzen, Schiebehilfe betätigen und selbst mitpedalieren, sobald die Situation es zulässt. Prinzipiell eine spannende Idee, ob einem das Feature in der Praxis beim Anfahren wirklich nutzt, erlebten unsere Tester aber unterschiedlich.
Bei der Geräuschkulisse liegen laut und leise nah beieinander. Durch das integrierte Getriebe unterscheidet sich das Antriebsgeräusch je nach Gang enorm. Im fünften Gang gehört die MGU zu den leisesten Powermotoren. Hier tönt sie deutlich leiser als Bosch und Shimano. Die Berggänge vier (insbesondere!) bis eins jaulen deutlich lauter als alle anderen Prüflinge im Vergleich. Das bemängeln die meisten Tester. Schade. Denn gerade bei langsamer Fahrt im Anstieg fällt ein aufdringliches Motorengeräusch störend auf, da hier weniger Fahrtwind und dafür mehr Zeit zum Quatschen und entspannen ist. Bergab wendet sich das Blatt, denn hier klappert nichts im Motor. Das gilt mit dem Antriebsriemen umso mehr, denn auch dieser ist deutlich leiser als ein Kettenantrieb. Gegenüber den Platzhirschen von Bosch und Shimano ein klarer Vorteil.
Powertechnisch braucht sich der kraftvolle Antrieb nicht zu verstecken. Drehmoment und Leistung liegen voll auf einer Höhe mit den stärksten Powermotoren. Auffällig gut: Auch bei sehr hohen Trittfrequenzen zieht die MGU voll durch. Durch das interne Getriebe unterscheidet sich die Kraftentfaltung von Gang zu Gang etwas. In unserem Labortest lieferte der vierte Gang nochmal deutlich mehr Schub als Gang 5. Hier liegt der Spitzenwert deutlich über Bosch und Shimano.
Bei den Displays und Remotes bedient sich Pinion an den Komponenten von FIT. Die Parts kennt man bereits von einigen E-Bikes von Flyer und Bulls. Für die Anzeige gibt es diverse Lösungen vom schlanken LED-Panel namens Master Node LED im Oberrohr, bis zum wirklich großen Screen, der zentral vor dem Lenker prangt. Am E-MTB kommt am meisten das FIT Remote Display als Kombi aus kleinem Screen und Bedienelement direkt am Griff zum Einsatz.
Von 480 bis 960 Wattstunden haben die FIT-Akkus eine große Bandbreite. Das Gewicht der Batterien ist gut. Optional gibt's bei einigen Modellen einen großen Range-Extender (535 Wh, 2,9 kg) fürs Rahmendreieck. Die Reichweite der MGU mit den FIT-Akkus liegt aktuell etwas unter dem Niveau anderer Antriebe mit ähnlicher Kapazität.
Einen Bug in der Software des Batterie-Management-Systems offenbarte unser Praxistest mit dem Bulls Vuca Evo AM. Mit leerem Akku war kein Schalten der Gänge mehr möglich. Ein No Go, sollte einem auf Tour tatsächlich mal der Saft ausgehen. Pinion arbeitet laut eigener Aussage aktuell an der Lösung dieses Problems.
Wer gerne viele Informationen im Blick hat, kann sein Smartphone über die FIT E-Bike Control App als erweitertes Display nutzen. Im Drive Screen werden Infos wie die gewählte Unterstützungsstufe, die Geschwindigkeit, der eingelegte Gang und eine prognostizierte Reichweite angezeigt. Leider hatte die App in unserem Testzeitraum noch einige Kinderkrankheiten. So bekamen wir bei mehrmaligem Verbinden mit dem System keine Daten auf dem Drive Screen angezeigt. FIT ist das Problem bekannt und eine Lösung soll in Arbeit sein.
Außerdem können über die App FIT E-Bike Control die vier Unterstützungsstufen feineingestellt werden. Dafür stehen jeweils die drei Parameter Unterstützung, Drehmoment und Dynamik zur Verfügung. Für Updates der Systemkomponenten müssen Pinion-Fahrer aktuell allerdings den Händler aufsuchen. Over the air Updates via Smartphone, wie sie die meisten anderen Motorsysteme bieten, gibt´s bei Pinion noch nicht.
Weiteres Feature der App sind Navigationsfunktionen und ein digitaler Schlüssel. Dabei dient das Handy optional als Sperre für die Motorunterstützung. Nur mit verbundener App kann das MGU-System gestartet werden.
Der Antrieb mit integrierter Zwölffach-Schaltung ist per se eine Revolution. Isoliert betrachtet, kann der Motor mit viel Power und guter Modulation überzeugen. In manchen Gängen sehr laut, in anderen angenehm leise. In Summe schwerer als klassische Systeme. - Florentin Vesenbeckh, stellv. Chefredakteur EMTB Magazin
Die Auswahl an Mountainbikes mit Pinion-Antrieb ist aktuell noch überschaubar. Neuester Spross ist das Nicolai Saturn 16 MGU. Zum Launch im vergangenen Jahr gab es E-MTBs von Bulls, Flyer, Simplon und Rotwild. In den folgenden Links gibt´s alle Infos und Details zu den Bikes: